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«Eine Katastrophe»: Oberster Imker im Kanton sagt, warum es dieses Jahr wohl keinen Aargauer Honig gibt

Kalte Temperaturen, Spritzmittel und Parasiten setzen den Aargauer Bienen zu. Normalerweise wird jetzt der Honig für das ganze Jahr produziert, doch die Bienen fliegen nicht aus. «Das ist eine Katastrophe», sagt Andreas König, der Präsident des Verbandes Aargauischer Bienenzüchtervereine.

Bild: Severin Bigler

Zu dieser Jahreszeit herrscht normalerweise reger Betrieb rund um die Bienenstöcke im Aargau. Die Pflanzen beginnen zu blühen und das Nahrungsangebot wäre riesig. Gerade einmal drei bis vier Wochen zeigt die Natur ihre volle Blütenpracht. Für die Bienen wäre dies ein Schlaraffenland, die Bienenvölker würden sich rasant vermehren und viel Honig produzieren. Doch zurzeit fliegen die Bienen aufgrund der niedrigen Temperaturen nicht aus, um Pollen und Nektar zu holen.

«Das ist eine Katastrophe» sagt Andreas König. Der Präsident des Verbandes Aargauischer Bienenzüchtervereine sieht schwarz: «Wenn das Wetter so bleibt, wird es dieses Jahr keinen Aargauer Honig geben.» Bei den Völkern des «Bienenkönigs» in Aarau schwirren nur wenige mutige Bienen umher. Der Rest des Volkes bleibt in der behaglichen Wärme des Bienenstockes.

Bild: Severin Bigler

Die Aargauer Imkerinnen und Imker müssten derzeit ihre Bienenvölker füttern, anstatt den Futterüberschuss für die Honigproduktion zu verwenden, sagt König. In gerade einmal drei Wochen werde der Blütenhonig für das ganze Jahr produziert. Eigentlich müssten dafür jetzt die Waben geschleudert werden.

Doch solange die Bienen nicht ausfliegen, gibt es auch keinen Nahrungsüberschuss, den die Imkerinnen und Imker entnehmen können. Wenn es bei diesen Temperaturen bleibe, fliegen die Bienen zu spät aus und verpassen womöglich die Blütezeit. «Es besteht noch ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass einige Pflanzen aufgrund der Temperaturen ebenfalls später blühen», sagt König.

Gefahren durch andere Arten

Doch das kalte Wetter ist nicht die einzige Herausforderung, der Bienen sowie Imkerinnen und Imker im Aargau trotzen müssen. Generell gestaltet sich die Futtersuche für Bienen immer schwieriger. Monokulturen, Überbauungen und «grüne Wüsten» ohne Blüten bieten nur wenig Nahrung für Honigbienen. Zudem setzten Viren, Gifte, Parasiten und Fressfeinde den kleinen Nutztieren zusätzlich zu, erklärt König.

So zum Beispiel die Varroamilbe. Der Parasit ernährt sich von den Bienenlarven und überträgt schädliche Viren. Doch ein gesundes Bienenvolk könne zusammen mit der richtigen Behandlung durch die Imkerin oder den Imker diese Bedrohung gut überstehen, so König.

Bild: iStockphoto

Auch Anja Ebener von Apiservice, dem Betreiber des Bienengesundheitsdienstes, bestätigt die Gefahr: «Aktuell sind die Varroa und die von ihr übertragenen Viren schweizweit und somit auch im Aargau immer noch die grösste Herausforderung für Honigbienen.»

Eine weitere Gefahr für die Bienenvölker im Aargau sei die Asiatische Hornisse, so Ebener. Die invasive Hornissenart ist als Bienenjäger berüchtigt. Sie kann sich schnell vermehren und ganze Bienenvölker auslöschen. Bisher wurden im Aargau nur einzelne Exemplare in Aarburg, Möhlin und Widen gesichtet. «Mit zunehmender Dichte des invasiven Schädlings wird dieser zum Problem werden», sagt Ebener.

Bild: Agroscope

Imkerei und Landwirtschaft gehören zusammen

Hinzu kommen Gefahren, die direkt vom Menschen verursacht werden. So können beispielsweise gewisse Spritzmittel aus der Landwirtschaft die Bienen vergiften. Aber dabei seien bereits viele Fortschritte gemacht worden, betont König. Die Landwirtschaft sei bemüht, sich auch für die Interessen der Imkerinnen und Imker einzusetzen.

Denn die Abhängigkeit zwischen Landwirtschaft und Imkerei sei gross. «Ohne Bienen keine Bestäubung von landwirtschaftlichen Kulturen, ohne Raps, Obst, Wiesen kein Honig», schreibt der Bauernverband Aargau auf seiner Website. Mit dem Pionierprojekt «Bienenfreundliche Landwirtschaft im Kanton Aargau» fördern Bäuerinnen und Bauern gemeinsam mit Imkerinnen und Imkern seit 2017 die Honig- und Wildbienen.

So möchten Bauern- und Bienenzüchterverband stichhaltige Aussagen zur Verbesserung des Lebensraumes erhalten, sagt König. Besonders die Wirksamkeit der Massnahmen soll belegt werden, um anschliessend mit den Ergebnissen an die Politik zu treten. Dabei schaffen die Bauern beispielsweise Lebensräume für Wildbienen in Form von Sandhügeln, verzichten auf das Mähen während des Bienenfluges oder passen die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln an. Die bisherigen Resultate zeigten, dass die Massnahmen durchaus wirkten, verrät König.

Biodiversität muss alle Arten berücksichtigen

In der Gesellschaft gebe es einige Unsicherheiten zur aktuellen Situation der Bienen, sagt König. Oft werde behauptet, die Bienen brauchen vor allem biodiverse Flächen. Doch beim Biodiversitätsbegriff sei Vorsicht geboten, hält er fest. Eine artenvielfältige Wiese mit verschiedenen Blüten sei für viele Insekten gut, aber alleinstehend für Bienen nicht ausreichend.

Bild: Severin Bigler

Die Honigbiene benötigt für effizientes Sammeln auch Flächen, die viele Blüten einer Sorte enthalten – in Imkerkreisen Massentracht genannt. Eine Linde auf einer wilden Wiese bietet bereits dieses Angebot. «Wo die Honigbienen sind, geht die Artenvielfalt automatisch hoch», sagt König. Denn die Biene sei schliesslich selber auch Nahrung für andere Tiere.

Die Honigbiene stehe mit keinen anderen Arten in Konkurrenz. «Wildbienen, Honigbienen sowie andere Insekten ergänzen sich und bestäuben eine Vielzahl von Pflanzen», sagt König. Es brauche also Massnahmen, um die Biodiversität umfassend zu fördern, und nicht nur einzelne Arten. Von Biodiversität könne erst gesprochen werden, wenn es von allem – Tiere und Pflanzen – genug habe, betont König.


-Ursprünglich publiziert in der Aargauer Zeitung vom 27. April 2023.

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