Wenn Neues plötzlich unheimlich vertraut wirkt – Woher kommt eigentlich das Déjà-vu?
Rund zwei Drittel der Menschen erleben mindestens ein Mal im Leben ein Déjà-vu. Woher dieses plötzliche Gefühl der Vertrautheit kommt, ist noch nicht abschliessend geklärt. Psychologinnen und Psychologen liefern aber einige Erklärungsansätze.

Ich gehe über die Strasse, weiche einem Mann aus, der eilig in Richtung Bahnhof geht, dabei verschütte ich einen Schluck meines Kaffees, und plötzlich klingelt das Telefon, ein ehemaliger Kollege ruft an. Moment einmal, diese Situation habe ich doch schon einmal erlebt – oder doch nur davon geträumt?
Dieses Gefühl, sich in einer Situation wiederzufinden, und der Überzeugung zu sein, man habe dies bereits genau so erlebt, nennt man Déjà-vu. Früher wurde das Déjà-vu als Störung, Illusion oder Halluzination abgestempelt. Doch eine Reihe amerikanischer Studien im 20. Jahrhundert zeigten, dass rund zwei Drittel der Menschen bereits mindestens ein Mal ein solches Déjà-vu erlebt haben.
Stress und Müdigkeit können zu mehr Déjà-vu-Erfahrungen führen. Die Studien zeigen zudem, dass mit zunehmenden Alter das Phänomen seltener wahrgenommen wird.
Bisher wurde die Ursache nicht gefunden
Auch wenn der Begriff heute allgemein bekannt ist, findet er in der Wissenschaft nur wenig Beachtung. Grundsätzlich können die Erklärungen von Psychologinnen und Psychologen in drei Gruppen eingeteilt werden. Erstens gibt es die Zwei-Phasen-Erklärung. In der Psychologie besagt die Zwei-Phasen-Theorie, dass Gedanken und Gefühle oft auf zwei verschiedene Arten oder aus verschiedenen Prozessen entstehen können.
Der Psychiater Andre De Nayer sprach in den 1990er-Jahren von den beiden Prozessen «Codierung» und «Abruf» der Informationen und benutzt dabei das Beispiel des Kassettenrekorders: Bei klassischen Rekordern kann man die Aufnahme- und die Play-Taste nicht gleichzeitig drücken. In seltenen Fällen könne dies aber im Gehirn passieren. So werden soeben aufgenommene Informationen im gleichen Moment wieder abgerufen, was eine fälschliche Vertrautheit und somit ein Déjà-vu hervorrufen könne.
Weitere Erklärungsversuche sehen die Ursache des Déjà-vu in neurologischen Fehlfunktionen. Beispielsweise könnte eine Fehlfunktion im Gehirn das Tempo der neurologischen Übermittlung von Informationen verantwortlich sein. Oft wird die Déjà-vu-Erfahrung von Epileptikerinnen und Epileptikern vor einem Anfall wahrgenommen. Bei einem epileptischen Anfall fällt dann die Hirnaktivität komplett aus ihrem Rhythmus.
Ein Fehler im Erinnerungsmechanismus könnte ebenfalls die Erklärung für Déjà-vus liefern. Erinnern läuft vereinfacht gesagt in drei Schritten ab: Der Mensch nimmt mit seinen Sinnen etwas wahr, sieht, hört, schmeckt, riecht oder fühlt etwas. Das Wahrgenommene wird mit unseren Erinnerungen abgeglichen.
Falls es Übereinstimmungen gibt, sendet unser Hirn ein Wiedererkennungssignal. Manche Psychologinnen und Psychologen gehen davon aus, dass sich der letzte Schritt manchmal verselbstständigen kann. Dass also ein Wiedererkennungssignal gesendet wird, auch wenn kein Anlass dafür besteht.
Zudem nehmen Menschen viele Dinge unbewusst wahr. Dies kann auch wenige Augenblicke vor einem Déjà-vu passieren. Wir haben die Situation bereits unbewusst abgespeichert, aber wenn wir sie Momente später aktiv wahrnehmen, erscheint sie uns plötzlich sehr vertraut, obwohl wir nicht genau wissen, woher.
Das Déjà-vu hat einen Gegenspieler
Viel weniger bekannt ist das Gegenteil des Déjà-vu, das Jamais-vu. Dabei befindet man sich in einer vertrauten Situation und fühlt sich plötzlich fremd, als würde man sie zum ersten Mal erleben. In einer neuen Untersuchung ist es Psychologen gelungen, Jamais-vus künstlich auszulösen. Dafür liessen sie Probanden immer wieder gleiche, teils sehr bekannte, teils ungewöhnlichere Wörter aufschreiben.
Nach durchschnittlich 33 Wiederholungen unterbrachen die Teilnehmenden ihre Aufgabe. Der Grund dafür war bei 70 Prozent mindestens einmal ein jamais-vu-artiges Empfinden. Sie gaben an, die Wörter plötzlich seltsam gefunden zu haben, sie hätten sich nicht mehr real angefühlt; so, als ob sie sie zum ersten Mal sehen würden.
Für diese Studie wurde das Team 2023 mit dem sogenannten Ig-Nobelpreis oder auch Anti-Nobelpreis ausgezeichnet. Dabei handelt es sich um eine satirische Auszeichnung, um wissenschaftliche Leistungen zu ehren, die Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken brächten.
-Ursprünglich publiziert in den Zeitungen von CH Media am 6. November 2023.


