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«Der Platz ist mein zweites Zuhause»: Fritz Beetschen gehört zum Solothurner Kreuzackerplatz wie kein anderer

Plötzlich war ein neuer Marronimann auf dem Kreuzackerplatz. Die Gerüchteküche begann zu brodeln. Doch keine Sorge: Fritz Beetschen ist zurück und möchte noch ein paar Jahre weitermachen.

Wenn im Herbst allmählich die bunten Blätter fallen, taucht auf dem Kreuzackerplatz auch wieder ein rotes Häuschen auf. Darin sitzt in der Regel ein hagerer Mann mit einem breiten Schnauzer. Viele kennen das Solothurner Stadtoriginal. Die Rede ist von Fritz Beetschen.

Fritz Beetschen verkauft seit 20 Jahren Maroni auf dem Kreuzackerplatz.

Seit mehreren Jahrzehnten trifft man ihn immer wieder auf dem Platz an: Entweder mit seiner Handorgel an der Kreuzackerbrücke und seit rund 20 Jahren in seinem Marronistand vor der Berufsschule.

Doch dieses Jahr ging ein Aufschrei durch die Stadt. Das rote Häuschen tauchte auf, doch von Marroni-Fritz, oder auch Musik-Fritz genannt, keine Spur. Stattdessen hielt ein jüngerer Mann die Stellung auf dem Kreuzackerplatz, während aus seiner Musikanlage Partymusik dröhnte. Wo ist Beetschen? Ist er gestorben? Wurde er durch einen Party-Marronimann ersetzt?

Marroni-Fritz ist zurückgekehrt

Mit diesen Fragen wurde Roger Schacher in den ersten Tagen der Saison immer wieder konfrontiert. Er beruhigt: «Ich vertrete Fritz, während er sich von einer Krankheit erholt», sagt Schacher. Ein paar Tage später sitzt der 77-jährige Marroni-Fritz wieder in seinem Häuschen und sagt: «Es ist unangenehm, wenn die Leute mich für tot halten.»

Fritz Beetschen in seinem Marronistand. Mit auf dem Bild Roger Schacher, der ehrenamtlich mithilft.

Während der Sommermonate verbringt Beetschen seine Zeit auf den Philippinen. Zwei Tage vor seiner Rückreise erwischte ihn eine Krankheit. Als er wieder in der Schweiz war, konnte er kaum aufstehen. «Ich bin auf dem Weg zur Besserung», sagt Beetschen heute. Er freue sich, wieder die Stellung vor der Berufsschule beziehen zu können.

«Der Platz ist mein zweites Zuhause», sagt er mit einer leichten Müdigkeit. Man merkt ihm an, dass er angeschlagen ist. Er wirkt schlapp, seine Augen sind glasig. Dennoch lugt immer wieder ein kleines Lächeln unter seinem Schnauz hervor. Und das, obwohl das Leben nicht immer freundlich zu ihm war.

Marroni-Stand ist Treffpunkt für Freunde

«Hier habe ich etwas zu tun, zuhause würde ich nur versauern», sagt er. Und beim Marroni-Stand treffe er seine Freunde. Einer von ihnen steht neben ihm: der «Party-Marronimann». «Ich kenne Fritz, seit ich sieben Jahre alt bin», sagt Schacher. Und fügt an: «Er ist einfach Kult hier in Solothurn.» Er habe ihm schon früher beim Musizieren auf der Brücke zugehört.

Aktuell hilft Schacher seinem Freund beim Marronistand, erledigt die Einkäufe oder vertritt ihn ab und zu. Einen Lohn gebe es dafür nicht. Es handle sich um einen reinen Freundschaftsdienst.

Denn viel bleibe vom Betreiben des Standes nicht übrig, sagt Beetschen. Er bezieht Marroni der besten Qualität und verkauft sie zu niedrigen Preisen. «Im Lidl oder Aldi wären die Marroni deutlich günstiger.» Während der Einkaufspreis in den Jahren stieg, wurde die Marge kleiner. «Die Preisliste wurde wahrscheinlich seit 20 Jahren nicht angepasst», sagt Schacher. Beetschen schweigt.

Es ist ein harter Job, der kaum Geld einbringt. Obendrauf kommen weitere Rechnungen, wie die Kosten für den Stromanschluss, die Pacht für den Stand und die Betriebsbewilligung. Zudem können die Winter bitterkalt werden.

Nach Saisonende gehts ins Inselparadies

Umso mehr träumt Beetschen von seiner dritten Heimat: den Philippinen. Seit 15 Jahren verbringt er jeweils drei Monate auf der Inselgruppe. «Dort wärme ich mich auf, mache Musik und baue Früchte an», sagt er. Aktuell züchte er dort eine rote Bananensorte.

Ein Bild von Beetschen aus 2008.

«Wenn ich wünschen könnte, wären die Philippinen mein erstes Zuhause», sagt er und schmunzelt. Doch das Leben in Südostasien sei ähnlich teuer wie in der Schweiz. Seine Rente reiche dafür nicht aus. «Ich habe zwar etwas zurückgelegt, aber nicht viel», sagt Beetschen.

Über Tiktok etwas dazuverdienen

Doch um etwas dazuzuverdienen, hat Beetschen nun einen neuen Weg für sich entdeckt. Der 77-Jährige ist auf der Social-Media-Plattform Tiktok sehr erfolgreich. «Ich wusste zuerst gar nicht genau, was das ist.» Dann probierte er verschiedene Filter aus und unterhielt sich im Livestream mit anderen Nutzern. Und das mit Erfolg: Rund 130’000 Personen folgen seinem Account auf Tiktok. Seine Videos werden teilweise millionenfach angeschaut. Das Beliebteste von allen hat 7,7 Millionen Views.

Ein paar Zusatzfranken hat sich Beetschen dadurch bereits erwirtschaftet. In den Live-Sessions können Zuschauer Geschenke überreichen, die einen Geldwert darstellen. Zudem bewirbt der Auftritt auf Social Media auch seinen Marronistand.

Teilweise erkennen ihn die Jugendlichen von Tiktok und bitten um ein Foto. Es mussten schon Kunden warten, da sich eine Menschentraube von Fans um ihn gebildet hat. Doch viele, die ihn besuchen, kaufen dann ebenfalls noch etwas vom Stand.

Doch es stellt sich die Frage, warum die mehrheitlich jugendlichen Follower Beetschens skurrile Inhalte konsumieren. Beetschen selber erhält jedenfalls nur freundliches Feedback. «Mir macht Tiktok Spass und ich freue mich über jeden, der mich dadurch besuchen kommt», sagt er.

Einbrüche und Vandalismus passieren regelmässig

Doch nicht jeder meint es so gut mit Beetschen. Jedes Jahr hat er mit Einbrüchen und Vandalismus zu kämpfen. Diese Saison wurde bereits am vierten Tag in das Häuschen eingebrochen. Ein Rahmen wurde herausgehebelt und ein Fenster eingeschlagen. Die Täterschaft erbeutete dabei wohl etwa acht Franken Bargeld.

«Pro Saison wird etwa sieben Mal in das Häuschen eingebrochen», sagt Beetschen. Seit er den Marronistand betreibe, sei aber nur ein Einbrecher je gefasst worden.

Doch auch bei allen Rückschlägen und Widrigkeiten will Beetschen weitermachen. Eine bis zwei Saisons will er den Stand noch betreiben. «Mit 80 Jahren ist ein guter Zeitpunkt, um aufzuhören», sagt er. Ob dann der «Party-Marronimann» übernehmen wird, bleibt offen. Bis dahin lässt es Marroni-Fritz noch etwas ruhiger angehen und träumt von seinem Leben im Inselparadies.


-Ursprünglich erschienen in der Solothurner Zeitung vom 22. Oktober 2024.

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